Herle Forbrich: Sie beschreiben sich als Autor, Journalist und „Draußenschreiber“. Sie kennen also die Recherchearbeit am Schreibtisch genauso wie das Schreiben unter freiem Himmel. Was hat Sie dazu gebracht, „Nature Writing“ nicht nur zu praktizieren, sondern auch weiterzugeben?
Roland Rödermund: Schreiben und Natur waren schon immer meine beiden größten Leidenschaften. Im Rahmen des berufsbegleitenden Studiums „Kreatives und Biografisches Schreiben“ vor ein paar Jahren sollte ich erstmals eine Unterrichtseinheit in Schreibcoaching vorbereiten. Ich hatte zunächst keine zündende Idee und war regelrecht gestresst. Als ich ein paar Tage später mit Notizbuch und Stift im Wald war, dachte ich nur: Bingo! Seitdem liebe ich es, das „Draußenschreiben“ anzuleiten und andere Menschen zu inspirieren.
HF: Der „Nature Writing Workshop“ findet auch im Langenberger Forst statt. Mit 1000 ha ist das der größte Wald im Landesteil Schleswig. Warum eignet sich besonders ein Aufenthalt im Wald als Inspiration zum Schreiben in und über die Natur? Welche Rolle spielt der Wald in Ihrem eigenen Schreiben?
RR: Jeder Wald ist für mich nicht nur ein Sammelsurium an Flora und Fauna, das mich immer wieder zum Staunen bringt. Ich komme dort auch augenblicklich zur Ruhe. Die Bäume funktionieren wie ein Schirm, ich fühle mich hier aufgehoben und geborgen. Am Meer zu sein liebe ich auch, aber da empfinde ich die Landschaft als zu weit, zu offen, um mich zum Schreiben niederzulassen. Im Wald gibt es so viel zu beobachten und zu beschreiben, ich staune über die kleinsten Tiere und unscheinbarsten Pflanzen – und nehme mich selbst nicht mehr als Mittelpunkt, sondern Mikro-Teilchen dieser wabernden, wachsenden organischen Welt wahr. Abgesehen davon ist es sehr praktisch, sich im Sitzen an einen Stamm lehnen zu können.
HF: Ihr Workshop trägt den Titel „Wilde Worte“. Dieser Ausdruck weckt sofort Bilder – aber was bedeutet „wild“ für Sie im Zusammenhang mit Schreiben? Ist es das Ungebändigte, das Ursprüngliche, vielleicht auch das Spontane?
RR: Wild im Sinne von ungezwungen, unkontrolliert, aber auch spontan. Und natürlich auch auf den „Gegenstand“ Natur bezogen. Wildnis gibt es in dem Sinne ja gar nicht mehr, aber meine Textwerkstatt ist auch eine Einladung, gewohnte Pfade zu verlassen und sich ein bisschen in die kreative Wildnis zu begeben.
HF: Nature Writing richtet sich an alle – egal, ob jemand bereits schreibt oder es zum ersten Mal ausprobiert. Was macht diesen Zugang so einfach – und gleichzeitig so herausfordernd? Was raten Sie Menschen, die sich noch unsicher fühlen, aber lernen möchten, durch das Schreiben die Natur intensiver wahrzunehmen?
RR: Neugier, Geduld und Spaß an der Beobachtung sind meiner Meinung nach Dinge, die es braucht, um sich schreibend auf die Natur einzulassen. Ob dann Texte entstehen, die sich mehr nach außen richten und die Umgebung in den Blick nehmen, oder ob die Landschaft innere Prozesse oder Gefühle auslöst, oder etwas ganz anderes, ist letztlich egal. Es geht in erster Linie um eine kreative Naturerfahrung. Mein Tipp wäre, regelmäßig rauszugehen, die Pflanzen und Tiere und auch Veränderungsprozesse wahrzunehmen und Notizen zu machen.
HF: Nature Writing ist nicht nur ein literarisches Genre, sondern auch eine Haltung. Hat sich Ihr eigener Blick auf die Natur durch das Schreiben verändert? Und glauben Sie, dass Nature Writing dabei helfen kann, unsere Beziehung zur Umwelt bewusster zu gestalten?
RR: Auf jeden Fall. Auch wenn ich schon immer sehr naturaffin war, schaue ich durch das Schreiben genauer hin, interessiere mich mehr für Zusammenhänge und bin immer wieder aufs Neue fasziniert – alles das möchte ich auch anderen durch meine Texte oder in meinen Workshops näherbringen. Natürlich bekommt das Nature Writing in Zeiten von extremem Klimawandel und zunehmender gesellschaftlicher Schieflage auch eine politische Funktion.
Vielen Dank!
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